Das Sofa ist alt, die Polster verblichen, der Holzrahmen hat viele Macken. 75 Jahre lang haben Menschen darauf gesessen, mit ihren Sorgen, Träumen, Hoffnungen und Geschichten. Doch das soll jetzt endgültig vorbei sein. Nicht mehr in einem Wohnzimmer steht das Sofa jetzt, es steht am Straßenrand. – Es ist Sperrmüll in Bodenheim am Rhein.
„Das sind alles Sachen, die meine Großmutter entworfen hat, für die Hochzeit meiner Mutter 1936, in Stettin. Und ein Schreiner hat es dann gemacht“, erzählt Regina Leupold, während sie ein Möbelstück nach dem anderen aus ihrer Praxis nach draußen trägt. „26 Umzüge haben diese Sachen hinter sich. Und nun bin ich selbst am Ende meiner Arbeitsjahre und verkleinere mich und muss das alles wegwerfen.“
Der Gedanke, dass alles auf dem Müll landet, tut weh. Doch in Regina Leupolds neuem Wohnmobil und dem Ein-Zimmer Apartment in der Stadt ist kein Platz. Wohltätigkeits- organisationen, Antiquitätenhändler, niemand hat Interesse.
Fast niemand.
Ein uralter, gelber Mercedes-Sprinter, biegt um die Ecke. Es ist der fünfte Klein-Transporter mit polnischem Kennzeichen, der in der letzten viertel Stunde hier vorbeigefahren ist, hinterm Lenkrad ein aufmerksamer Fahrer, der jeden neu herausgestellten Gegenstand sofort taxiert. Denn schon lange landet kaum etwas von dem, was in Deutschland auf den Sperrmüll gestellt wird, tatsächlich auf dem Müll. Der weitaus größere Teil tritt eine wundersame Reise an – in Richtung Osten. Auch Regina Leupolds Sofa, drei Sessel und ein kleiner Wandteppich verschwinden im Laderaum des gelben Lieferwagens von Piotr Liszcz und Jan Mysliwiec.
Piotr muss es wissen: Vor 15 Jahren war er einer der ersten, der nach Deutschland fuhr, um die Sperrmüllberge zu durchforsten und alles Brauchbare – ob Regal, Teppich, Lampe, Bügeleisen, Fitnesstrainer, Matratze, Fahrrad oder Computerbildschirm – zuhause zu verkaufen. Inzwischen gehören regelrechte Kolonnen meist polnischer, aber auch ungarischer, rumänischer oder ukrainischer Kleintransporter an den Tagen vor der Sperrmüllabfuhr zum Straßenbild in den rheinhessischen Dörfer.
„Am Tisch der Reichen werden auch die Hunde satt,“, sagt Piotr Liszcz. „Wir sind hier keine Gäste. Wir sind Eindringlinge, nicht Gäste. Keiner lädt uns ein. Wir müssen uns absolut unauffällig benehmen, leise sein, keinen Dreck machen, keinen Alkohol trinken.“
Nicht leicht, wenn das Leben sich zwischen Sperrmüllhaufen und öffentlichen Parkplätzen abspielt, wo die Männer die Ware – wie sie es nennen – sortieren, wo sie essen, Pause machen, in ihren Autos übernachten, bevor es ins nächste Dorf oder wieder nach hause geht.
Für die Regisseurin Katja Schupp und den mehrfach ausgezeichneten Kameramann Hartmut Seifert war Piotr ein Glücksfall – denn die meisten Männer, die diese Arbeit machen, haben Angst, verstecken sich, wollen nichts riskieren, vermeiden den Kontakt zu den Deutschen, erst recht zu jeder Kamera. Sie wissen nur zu gut, wie verbreitet die Vorurteile, mehr als fünf Jahre nach dem EU-Beitritt Polens, immer noch sind. „Heute gestohlen – morgen schon in Polen“ – das bekommen auch die Filmemacher immer wieder zu hören. Nicht ohne Grund vergingen seit dem ersten Kontakt zu Piotr Liszcz und den Männern, die mit ihm zusammen arbeiten, über zweieinhalb Jahre, bis der Film fertig war. Er überzeugt mit seiner tiefen Nähe zu den polnischen Sperrmüllsammlern, die die Kamera vom Aufstehen bis zum Zu-Bett-gehen in den engen Mehrbett-wohnwagen dabei sein lassen.
„Die wundersame Reise der unnützen Dinge“ begleitet das Sofa, den Wandteppich, ein rostiges Dreirad und andere Gegenstände von den Straßenrändern der rheinhessischen Dörfer über all die Lieferwagen, Zwischenlager und den Gebrauchtwarenladen von Piotr Liszcz in Südostpolen bis in ihre neue Heimat beim polnischen Kunden. Dabei erzählt der Film die anrührenden Geschichten der Menschen, denen die Gegenstände auf ihrer langen Reise begegnen, zeigt Facetten eines Europas zwischen arm und reich und macht auf eindrückliche Weise deutlich, wie sich der Wert der Dinge mit jedem Meter verändert, den sie sich von unserer westlichen Wohlstandsgesellschaft entfernen.
Die Idee für den Film, gemeinsam entwickelt von Katja Schupp und ihrer polnischen Kollegin, wurde bereits von der Robert-Bosch-Stiftung mit dem Koproduktionspreis ausge-zeichnet und von der Stiftung für deutsch-polnische Zusam-menarbeit gefördert.
Auf der Heimreise, schon längst in Polen kommt das Gespräch von Piotr und Jan auf den Film, ob sie dadurch vielleicht doch in Schwierigkeiten kommen könnten – dass die Filmemacher zuhören, scheinen sie, wie so oft, vergessen zu haben. „Wenn die Deutschen uns als Mafia verstehen, dann kriegen wir Probleme“, fürchtet Jan immer noch. „Doch vielleicht sehen sie uns ja einfach als normale Menschen. Vielleicht sehen uns die Leute dann in einem anderen Licht.“
Der Film wurde von folgenden Festivals eingeladen:
– 11. Festival des mittel- und osteuropäischen Films goEast in Wiesbaden
– 26. Internationales Dokumentarfilmfestival DOK.fest München
– 51ST Krakow Film Festival (Poland)
– 9. Mutimedia Happy End Festiwal Filmów Optymistycznych in Rzeszów (Poland) – Wettbewerb
– 40th International Film Festival – Lubuskie Film Summer – Łagów 2011 (Poland) – Wettbewerb
– 3rd TRANZYT Documentary Film Festival in Poznań (Poland) – Wettbewerb
– 21. Festiwal Mediów w Łodzi “Człowiek w Zagrożeniu” (Poland)
– RELIGION TODAY FILM FESTIVAL in Trento (Italy) – Wettbewerb
– 11th International Film Festival WATCH DOCS. Human Rights in Film in Warsow (Poland)
– Traveling Film Festival WATCH DOCS. Human Rights in Film (Poland)
– 14th One World International Human Rights Documentary Film Festival
– RELIGION TODAY FILM FESTIVAL in Trento (Italy)
Auszeichnung von Special Jury of Young People from Pergine Valsugana
– 3rd TRANZYT Documentary Film Festival in Poznań (Poland)
Auszeichnung in der Kategorie: The Best Feature Lenght Documentary (over 60 min.)